Renaissance
Achtung Suchtgefahr!
Die Musik dieser CD wird sich in innerhalb kürzester Zeit in die hintersten Regionen des Langzeitgedächtnisses einnisten und jede Erinnerung an alles bisher innerlich Klingende verdrängen.
Im Los Angeles der gerade aufblühenden Sechziger Jahre wohnten an zwei verschiedenen Orten zwei junge talentierte Musiker, die bisher nichts miteinander verband außer dem von ihnen gespielten Instrument und die Liebe zur Musik der Everly Brothers.
Pamela Polland, die Tochter eines Berufsmusikers für Holzblasinstrumente und einer Pianistin, und Rick Stanley, der Stiefsohn eines US-Offiziers, führte der Zufall im Schmelztiegel der sich gerade etablierenden Folk-Szene zusammen.
Pamela hatte bereits einige Demotapes mit ihrem musikalischen Ziehvater
Ry Cooder aufgenommen, als Rick von einer Bekannten durch diese Mitschnitte auf ihre Musik aufmerksam gemacht wurde. Er war begeistert und bereits beim ersten Treffen der beiden Songwriter war ihnen klar, dass sie sich harmonisch ideal ergänzten.
Unterstützt durch den Produzenten der Byrds,
Terry Melcher, fanden Pamela, Rick, der Gitarrist Riley Wildflower und ein Akustikbassist namens Bobby eine Bleibe auf der Hazienda eines durch Europa tourenden Opernsängers, welche sich im Lauf der Zeit als angesagter Treffpunkt für Hippies und Spiritualisten der kalifornischen Metropole herauskristallisierte. In diesem Milieu konnte das Talent der beiden Musiker miteinander zum Zündstoff für eine musikalische Bombe reagieren, deren Sprengstoff die Botschaft „Love and Peace“ unter der Menschheit verbreiten sollte.
Leider schlug die Bombe wohl im Pazifischen Ozean ein, wo sich Pamela nach Hawaii zurückzog um sich der dortigen Folklore zuzuwenden, denn das Album geriet in Vergessenheit, da es kaum über die Grenzen Kaliforniens hinaus bekannt wurde. Allein unter Sammlern konnte die limitierte Auflage astronomische Preise erzielen – und das zu Recht. Vor einem Jahr jedoch erschien eine um die Singles der Band erweiterte Neuauflage, welche zu erschwinglichen Preisen zu erwerben ist.
Alben, die vom ersten bis zum letzten Song nicht nur hörenswert, sondern herausragend sind, lassen sich nur schwerlich auftreiben. Das Gentle Soul-Album gehört mit Sicherheit in diese Kategorie.
The Gentle Soul – Overture
Üppig orchestriert finden sich in dieser Ouvertüre die Motive vieler nachfolgender Titel der Gentle-Soul-LP wieder. Die Bandbreite der musikalischen Stile verläuft von barock (das von Van Dyke Parks gespielte Cembalo) über romantisch (Streicherpizzicatto) bis rockig (am Schluss setzt das Schlagzeug ein).
The Gentle Soul – Marcus
Die von Rick Stanley gespielte Westerngitarre auf der linken und das Cembalo auf der rechten Seite ergänzen sich gegenseitig ebenso ideal wie die beiden Stimmen von Rick Riley auf der linken und Pamela Polland auf der rechten Seite des Stereopanoramas. Ergänzt wird das ganze durch den dezenten Akustikbass und eine hin und wieder hörbare klassische Gitarre. Diese spärliche Instrumentalisierung lenkt die Aufmerksamkeit des Zuhörers dort hin, wo sie sein sollte: auf den Gesang. Verschiedene märchenhafte Geschichten verbinden sich in dieser Ballade zu einem Schlaflied für „Marcus“.
The Gentle Soul – Song for Eolia
In dieser wiederum orchestrierten Ballade kommt das Kennzeichnende des Gentle-Soul-Gesanges zu Gehör: Rick und Pamela singen abwechselnd und lassen die jeweils vom Partner übernommene Harmonie mit sehr viel Gefühl für die Dynamik abschwellen und wieder aufleben. Das geht so weit, dass Pamela an einer Stelle des Liedes kaum merklich ihre Stimme von vollkommener Abwesenheit bis zu lautstarker Präsenz anhebt, wobei sich der Zuhörer erst nach mehrmaligem Zuhören dessen bewusst wird.
The Gentle Soul – Young Man Blue
Bluesig geht´s in dieser von der Slide-Guitar Ry Cooders dominierten Ballade zu. Wieder stehen sich Ricks Leadgesang und Pamelas Bluesimprovisationen klar getrennt gegenüber. Wie bereits in den beiden vorhergehenden Songs endet das Lied auf den vom Cello gestrichenen Grundton.
The Gentle Soul – Renaissance
Von einer unverfälschten Romantik ist diese musikalische Liebeserklärung zur Begleitung von zwei Gitarren und einer „Gute-Nacht-Freunde“-Querflöte (welche, wie auch der Gesang, fast körpernah spürbar, menschliche Wärme ausstrahlt). Der Rhythmus des Liedes erinnert an die Monotonie indianischer Gesänge. Wie der Titel verspricht, wird jeder, dem dieses Lied zu Ohren kommt, auf der Stelle wiedergeboren. Allen, die das mit der Entjungferung immer noch nicht hinter sich haben, ist empfohlen, beim ersten Sex mit dem Partner des Lebens dieses Lied aufzulegen!
The Gentle Soul – See my Love
Diese von Pamela Polland gesungene Ballade wird von einer Westerngitarre, einem Akustikbass, dezentem Schlagzeugeinsatz und einer Hammondorgel im Bob-Dylan-Stil sowie einer Harfe auf der linken sowie einer Gitarre und einem Klavier auf der rechten Seite begleitet. Dabei übernimmt die zweite Stimme ebenfalls Pamela, was mich zu Vermutung führt, dass dieses Lied entstanden ist, als Rick Stanley das Studio und die Hazienda für sechs Wochen verließ, um sich mit Jasmintee und einem Zelt auf der Suche nach sich selbst in die Wälder von Monterey zurückzuziehen. Sein Selbsterfahrungstrip endete mit der Einsicht, dass er die begonnenen Projekte abschließen müsse, um Pamela und andere Freunde nicht zu enttäuschen. Die Ähnlichkeit zu den späteren Bob Dylan-Songs entstammt sowohl dem Faible der Band für die Musik des Folk-Idols als auch dem entliehenen Dylan-Schlagzeuger Sandy Konikoff.

Diesem Kleinod der Sixties-Music darf kein Schattendasein in den Regalen der Musikindustrie beschieden sein!